Prof. Dr. Peter Hirtz, Emeritierter Professor für Bewegungs- und Trainingswissenschaft an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, 02.03.2008
Gutachten zum "Kinderturngerät Greifswald"
Der Bereich der Kindertagesbetreuung befindet sich nach Aussagen des entsprechenden Forschungsverbundes (vgl. Deutsches Jugendinstitut und Universität Dortmund (2008). Kindertagesbetreuung im Spiegel der Statistik, Zahlenspiegel 2007) derzeit in einer fundamentalen Umbruchsituation. Danach werden heute - im Gegensatz zu zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten - große Erwartungen auf öffentliche Bildungs- und Betreuungsangebote gerichtet. Sie sollen Kern eines um die Familie herum geknüpften Netzwerks an Unterstützungs- und Dienstleistungen sein. Den Eltern soll die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch unter den Bedingungen moderner Erwerbsarbeit erleichtert werden. Gleichzeitig soll den Kindern eine frühe Förderung zuteil werden, die das Fundament für die weiteren Bildungsverläufe legt. So wurde die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung zurecht mit aller Vehemenz auf die politische Tagesordnung gesetzt. Es ist äußerst positiv zu werten, dass der Elementarbereich von der Bildungspolitik (wieder-)entdeckt worden ist.
Von allen Kindern in Deutschland, die noch nicht zur Schule gehen, besuchten zum Stichtag der oben genannten Studie insgesamt immerhin 2,6 Millionen Kinder eine Kindertageseinrichtung. Die Besuchsquote bei den Kindern im Alter von vier und fünf Jahren in öffentlicher Kindertagesbetreuung liegt zwischen 92 und 93%.
Die genannte fundamentale Umbruchsituation war auch nötig, um den beginnenden rückläufigen Tendenzen in der motorischen Leistungsfähigkeit der Vorschulkinder ernsthaft zu begegnen. Eine an meinem Lehrstuhl 2002 erarbeitete vergleichende Studie zur motorischen Leistungsfähigkeit von 5- bis 6 -jährigen Kindergartenkindern erbrachte den wissenschaftlichen Beleg dafür, dass gegenüber den Ergebnissen einer Vergleichsstudie aus dem Jahre 1987 deutliche - statistisch gesicherte - Rückgänge in verschiedenen motorischen Fähigkeiten (z.B. in der räumlichen Orientierungsfähigkeit, der ganzkörperlichen Reaktionsfähigkeit sowie der kinästhetischen Differenzierungsfähigkeit, aber auch in Schnellkraft-, Kraftausdauerund Ausdauerleistungen zwischen 10 und 20%) zu verzeichnen sind (vgl. Hirtz u.a. (2007). Phänomene der motorischen Entwicklung des Menschen. Schorndorf. Hofmann). Dies unterstreicht die Notwendigkeit verstärkter Bemühungen um eine verbesserte motorische Grundausbildung der Vorschulkinder.
Das 1962 durch Frau Dr. Salomon am Institut für Sportwissenschaft der Greifswalder Universität konstruierte und entwickelte Kinderturngerät „Greifswald" hat sich über viele Jahrzehnte hinweg in den Kindergärten der DDR (hier gehörte es zur Grundausstattung), aber auch in entsprechenden Einrichtungen anderer Länder, wie z.B. Ungarn, Kuba bewährt, da es wertvolle Anreize für ein abwechslungsreiches, intensives, freudvolles und eben kindgemäßes Üben vermittelte. Dies bestätigten übereinstimmend und teilweise euphorisch die Kindergärtnerinnen in ihren Stellungnahmen. Der große Vorteil des Gerätes besteht in den vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten als Klettergerüst, Sprossenwand, Turnbank, Reck, Barren, Kasten, Leiter usw., die vielfältige Bewegungsreize bieten und ein abwechslungsreiches und freudvolles Üben ermöglichen. Hinzu kommt, dass stets mehrere Kinder gleichzeitig üben können, dass es schnell auf- und abgebaut werden kann, dass es von den Erzieherinnen gemeinsam mit den Kindern transportiert werden kann, dass es standsicher ist sowie raum- und platzsparend aufgestellt werden kann. Darüber hinaus ist es der Körpergröße und dem Leistungsvermögen der 3- bis 6-Jährigen angepasst. Die Kinder sind begeistert, wenn es ans Üben an diesem Gerät geht. Das besagen übereinstimmend die zahlreichen Stellungnahmen zum Gerät.
Ein „modernisierender" Nachbau sowie ein flächendeckender Einsatz des Greifswalder Kinderturngerätes sind nachhaltig zu empfehlen. Dies würde auch dazu beitragen, dass die Phase besonders intensiver Entwicklung koordinativ bedingter motorischer Voraussetzungen, in der entsprechende Impulse nachweislich von besonderer Nachhaltigkeit sind, aktiv genutzt wird. Nicht zu unterschätzen ist die Exportfähigkeit des Gerätes, denn wissenschaftlich entwickelte Geräte dieser Art sind äußerst selten.
Greifswald, 2. März 2008
Prof. em. Dr. Peter Hirtz